Schrill, aber echt

Die Analytics-Rampensäue von mohrstade

Lukas Oldenburg
4 min readSep 23, 2024

Externe Investoren hätten nie zugestimmt: Die Rampensäue der Agentur mohrstade machen fast alles so, wie andere es nicht machen. Aber erfolgreich.

“Kein Home Office”, “nur Vollzeit” — wenn HR-Fachleute die Stellenausschreibungen von mohrstade lesen, werden sie vielleicht denken: “Wer will denn bei so einer rückwärtsgewandten Firma arbeiten!?” Nun, eine ganze Menge patenter Leute sogar! Seit kurzem sogar Adobe-Analytics-Koryphäe Frederik Werner.

Eine HR-Abteilung gibt es bei mohrstade natürlich nicht. Nicht dass noch jemand Zeit damit verschwendet, “Core Values” aufzustellen, die dann alle abnicken müssen, um sie dann im Alltag doch nicht einzuhalten oder so dehnbar zu interpretieren, dass man alles damit rechtfertigen kann.

Auch sonst ist die Münchner Analytics-Bude alles andere als konventionell. Erfrischend anders.

Zeit, mal über mohrstade zu reden.

Mohr und Stade, sozusagen beim Verkünden der Starting Five, in der Basketballarena des FC Bayern München

Schrill, aber echt

Auf den ersten Blick haben die Gründer Patrick Mohr und Marcus Stade den Charme einer Mischung aus Golf-GTI-Club und Nutty Professor. Auf den zweiten Blick merkt man: Die haben wirklich einen Knall. Aber im Guten. Sie sind schrill, aber echt! Echt in jeder Hinsicht.

Echt wirken — “authentisch” — wollen viele in der Branche. Und kommen dann doch aufgesetzt rüber. Besonders das bombastische Selbst-Feiern in bester Gute-Laune-Zwang-Tradition kennt man ja von Tool-Anbietern und grossen Branchen-Events zur Genüge: “Wir sind ja alle so cool, so locker, so on-the-edge, und wir haben ja so viel Spaß!” Das kommt mir immer ungefähr so “echt” vor wie die Statements von ausnahmslos hochzufriedenen Mitarbeiterinnen auf Karriere-Websites.

Die beiden mohrstade-Gründer feiern sich freilich ebenfalls ordentlich selbst, manchmal fast zum Fremdschämen. Gerade vielleicht deshalb nehme ihnen aber ab, dass sie dabei “echt” sind. Sie machen ihr Ding, egal ob ein Public-Relations-Manager dabei Haarausfall bekäme. Oder wie es Dr. Markus Baersch neulich auf mohrstades Analytics Pioneers Summit sinngemäß ausdrückte:

“Es wirkt nicht wie eine Sales-Show, und selbst wenn es eine wäre, wäre das auch egal, solange es niemand so empfindet.”

Klotzen statt Kleckern

À propos Analytics Pioneers Summit. Das war natürlich keine Konferenz in irgendeinem Bürogebäude mit Alpenblick. Nein, mohrstade macht das schon mit richtig Lametta: Das Event fand statt in der Arena, wo sonst das Basketball-Team des FC Bayern München spielt. Mit dabei: FCB-Maskottchen auf Rollschuhen mit T-Shirt-Kanone, tanzende Cheerleader und ein Half-Court Shooting Contest. Um Marcin Pluskota von Piwik Pro zu zitieren:

“If you have ever wondered if an analytics conference needs chipmunks on skateboards, light shows, and LED floors, the answer is a resounding YES!”

Cheerleaders motivating “Gunnar the Gunner” Griese before his winning half-court shot

Und das ist nicht die erste Veranstaltung dieser Art. Letztes Jahr mieteten mohrstade fürs MeasureCamp Munich sogar Räume in der Allianz-Arena mit After-Party am Rasen und denkwürdigen Bildern auf der großen Anzeigetafel…

Stellt euch mal vor, der CEO einer “normalen” Analytics-Agentur schlägt seinem Investor vor: “Wir engagieren uns finanziell beim FC Bayern München Basketball-Team und mieten VIP-Sitze.” Der Investor würde mit verstörtem Blick fragen: “Habt ihr noch alle Tassen im Schrank?!”

Wer braucht Social Media? Wir machen Print!

Nächster Punkt in der Reihe “Klassische Investoren würden das Gesicht verziehen” — das “Analytics Pioneers” Print-Magazin ist nicht nur das Gegenteil dessen, was konventionelle Marketing-Strateginnen heute wohl empfehlen würden, es ist auch eine enorme finanzielle und organisatorische Belastung. Aber ein Hingucker.

Gleichzeitig alles andere als reichweitenstark sind hingegen der LinkedIn-Kanal von Analytics Pioneers, mohrstade oder die Feeds der beiden Gründer. Aber wer braucht schon einen starken eigenen Kanal, wenn die Massen von selber über einen posten (soeben hab ich mich selbst ertappt)?

Rampensäue mit Substanz

Die Substanz ist letztlich aber der Hauptgrund, warum die Analytics Pioneers auch bei mir gut ankommen. Es gibt in unserer Branche einige Rampensäue (meist Eber), aber die meisten sind sales- oder vendor-getrieben und inhaltlich daher kaum vertrauenswürdig. Es gibt auf der anderen Seite viele Agenturen und Analystinnen mit Substanz, aber die sind selten Rampensäue. Stade und Mohr sind ein seltener Fall von beidem.

Wirkten früher viele Webinare oder Konferenzen recht glattgeschliffen oder standen im Verdacht, doch nur versteckte Werbeveranstaltungen zu sein, war es früher einfach, Success Stories en masse zu erhalten, aber schwer zu erfahren, was alles nicht funktioniert, weil fast jede Agentur doch mit irgendwelchen Vendoren und den dazugehörigen Knebelverträgen im Bett liegt, so haben die regelmäßigen Analytics Pioneers Community Trainings hier einen erfrischend anderen Wind reingebracht. Nicht weil sich Stade und Mohr in diesen Trainings oft liebevoll (?) in Grund und Boden dissen. Sondern weil dort live Sachen gezeigt werden, bei denen oft etwas schiefgeht und (zumindest wenn mohrstade die Trainings selber macht) keine Scheu herrscht, den Finger in die Wunden der laut Vendor-Marketing angeblich so reibungslos funktionierenden Lösung zu legen.

Ob mohrstade die Intensität, mit der sie das alles betreiben, halten können? Ob diese doch enormen Investitionen langfristig aufgehen? Wir werden es sehen. Bisher geben uns die Münchner jedenfalls eine unkonventionelle, aber vielleicht gerade deshalb so erfolgreiche Lektion im Markenaufbau.

Transparenzhinweis: Ich stehe in keiner vertraglichen Beziehung zu mohrstade.

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Lukas Oldenburg
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Written by Lukas Oldenburg

Digital Analytics Expert. Owner of dim28.ch. Creator of the Adobe Analytics Component Manager for Google Sheets: https://bit.ly/component-manager

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